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Welche Rolle Gaskraftwerke künftig bei der Energiewende spielen.

Gaskraftwerke können die Versorgung sichern, wenn Photovoltaik- und Windenergie-Anlagen nicht genug Strom liefern. Daher sind sie für die Energiewende unverzichtbar. Das ist Konsens in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Strittig ist aber, wie viel Kraftwerks­leistung künftig nötig ist – und wie sich der Bau neuer Anlagen mit den Klimazielen verträgt.

Welche Rolle spielen Gaskraftwerke künftig in unserem Energiesystem?

Solar- und Windenergieanlagen erzeugen Strom nicht nach Bedarf, sondern nach Wetterlage. Daher braucht das Energiesystem ein Sicherheitsnetz – sogenannte gesicherte Leistung, die jederzeit zur Verfügung steht, unabhängig von Wind und Sonne.

Gaskraftwerke eignen sich sehr gut für diese Aufgabe, unter anderem weil sich ihre Leistung schnell anpassen lässt. So können sie auch kurzfristige Schwankungen bei der Erzeugung von Wind- und Solarstrom ausgleichen.

Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sind sich deshalb einig: Ohne Gaskraftwerke wird die Energiewende nicht gelingen – gerade mit Blick auf Dunkelflauten, in denen Windräder und Photovoltaik-Anlagen landesweit über Tage hinweg kaum Strom liefern (mehr über Dunkelflauten lesen Sie in diesem Faktenblatt).

Doch in zwei Punkten herrscht Dissens: wie viel Kraftwerksleistung nötig ist und wie sich der Bau neuer Anlagen mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 vereinbaren lässt.

Wie viel Gaskraftwerk-Leistung wird benötigt?

Derzeit sind in Deutschland Gaskraftwerke mit einer Leistung von gut 35 Gigawatt installiert. Die Bundesnetzagentur beziffert den zusätzlichen Bedarf in ihrem Bericht zur Versorgungssicherheit Strom 2025 bis 2030 auf 17 bis 21 Gigawatt.

Die Denkfabrik Epico und das Analystenhauses Aurora Energy Research kommen dagegen in einer gemeinsamen Studie zu dem Ergebnis, dass ein Zubau von zehn Gigawatt bis 2035 genügt. Die Analysten von Frontier Economics beziffern den Bedarf bis 2030 in einer Studie auf fünf bis zehn Gigawatt.

Warum weichen die Einschätzungen zum Bedarf an zusätzlichen Gaskraftwerken so weit voneinander ab?

Vor allem, weil die Experten unterschiedlich einschätzen, was Speicher – Batterie-Großspeicher, private Solarspeicher, bidirektional ladbare E-Auto-Batterien und Pumpspeicher-Kraftwerke – beitragen können, Erzeugungslücken zu schließen. So kritisiert der Bundesverband Solarwirtschaft, dass die Bundesnetzagentur in ihrem Bericht zur Versorgungssicherheit das Potenzial der Großspeicher als viel zu gering einschätze.

Zudem bewerten die Fachleute unterschiedlich, was die Flexibilisierung des Stromverbrauchs zur Versorgungssicherheit beitragen kann. Denn wenn sich der Stromverbrauch stärker nach dem Angebot richtet, sind weniger Gaskraftwerke nötig, um die Versorgung abzusichern.

Was plant die Bundesregierung?

Sie hatte in ihrer Kraftwerksstrategie ursprünglich festgelegt, dass bis 2030 insgesamt 20 Gigawatt an Gaskraftwerks-Leistung hinzu kommen sollen. Da für einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen eine Förderung nötig ist, muss die EU-Kommission den Plänen zustimmen. Und die hat das Programm nun deutlich gestutzt: Das EU-Beihilferecht lässt nur 12,5 Gigawatt zu.

Wirkt sich das Tempo beim Erneuerbaren-Ausbau auf den Bedarf an Gaskraftwerken aus?

Die Bundesnetzagentur weist in ihrem Bericht zur Versorgungssicherheit darauf hin, dass bis 2035 deutlich mehr gesicherte Leistung nötig ist, wenn sich der Windenergie- und Photovoltaik-Ausbau verzögern sollte. Denn je mehr Leistung installiert ist, desto mehr Strom erzeugen die Anlagen auch bei widrigem Wetter. Ebenso steigt der Bedarf an gesicherter Leistung, wenn der Stromverbrauch nicht schnell genug flexibilisiert wird.

In ihrem Szenario „Verzögerte Energiewende“ beziffert die Bundesnetzagentur den Bedarf an gesicherter Leistung – vor allem Gaskraftwerke, so die Behörde – bis 2035 auf bis zu 35,5 Gigawatt. Läuft die Energiewende nach Plan, seien bis dahin nur maximal 22,4 Gigawatt notwendig.

Wie soll der Neubau von Gaskraftwerken finanziert werden?

Die Gaskraftwerke kommen künftig nur selten zum Einsatz – dann, wenn die Erneuerbare- und die Speicher-Leistung sowie die Importe nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken (hier finden Sie ein Faktenblatt zu Im- und Exporten von Strom). Diese kurzen Zeiträume werden den Betreibern nicht genügen, um die Investitionen über den Stromverkauf am Markt zu refinanzieren.

Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium setzt daher auf Ausschreibungen, bei denen Interessenten Gebote für den Bau neuer Kraftwerke und anderer steuerbarer Leistung abgeben können. Den Zuschlag sollen die Anbieter erhalten, die den niedrigsten Preis pro Kilowattstunde erzeugten Stroms verlangen. Das Ministerium will bis Ende 2025 die Regeln für die Ausschreibungen bekannt geben.

Wie passt der Bau von Gaskraftwerken zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045?

Gaskraftwerke erzeugen klimaneutral Strom, wenn sie statt Erdgas grünen Wasserstoff nutzen. Die notwendigen Brennstoff-Mengen sind jedoch frühestens Mitte des nächsten Jahrzehnts verfügbar. Auch bei der Kraftwerkstechnik hakt es noch: Es sind bislang keine Großturbinen auf dem Markt, die sich mit 100 Prozent Wasserstoff betreiben lassen. Viele Fachleute fordern daher, bei den Ausschreibungen vorzugeben, die Kraftwerke bis zu einem bestimmten Zeitpunkt so umzurüsten, dass sie mit Wasserstoff betrieben werden können. Bei dem mit der EU-Kommission vereinbarten 12,5-Gigawatt-Kontingent ist eine solche Regelung allerdings nicht vorgesehen.

In ihrem energiepolitischen Zehn-Punkte-Programm hat das Ministerium noch einen anderen  Ansatz ins Spiel gebracht: das dauerhafte Abscheiden und Speichern von CO2, das beim Einsatz von Erdgas in Kraftwerken entsteht (Carbon Capture and Storage, kurz CCS). Bei der Ausschreibung der ersten 12,5-Gigawatt-Kraftwerksleistung ist jedoch keine CCS-Pflicht geplant. CCS gilt als sehr teuer – und ist auch noch nicht im industriellen Maßstab erprobt worden. Dazu kommt, dass CCS nicht die Methan-Emissionen verhindert, die bei Förderung und Transport von Erdgas entstehen. Methan ist weit klimaschädlicher als CO2.